Entgegen den allgemeinen Vorurteilen bezüglich der sozialen Herkunft und schulischen, beruflichen Situation, sind unter den Hooligans kaum - zumindest nicht überrepräsentiert - Arbeitslose zu finden. Hooligans rekrutieren sich aus allen Sozialschichten, unter ihnen befinden sich viele Abiturienten, Studenten, Menschen in guten beruflichen Positionen. Diese Hooligans haben zwei Identitäten: eine bürgerliche Alltagsidentität und eben ihre sub- bzw. jugendkulturelle Hooliganidentität. „Der Fußball ist wie ein zweites Privatleben. Ich kann mit meiner Freundin weggehen, da habe ich meine Sonntagshose an, da geh´ ich Essen ganz fein, geh´ ins Kino ganz fein, sitz abends daheim und guck Fernsehen. Und dann gibt´s wie ein Bild-schnitt, dann schlaf´ ich eine Nacht, steh´ morgens auf und dann ist Fußballtime. Dann guck´ ich halt wo ich gut kann, wo geht ´ne Party ab,“ so ein Hooligan.
Die hannoversche Polizei hat denn auch vor ein paar Jahren hannoversche Hooligans nach einer Schlägerei festgenommen, unter ihnen ein Dipl-Ing., ein Arzt, ein Banker und – quasi als Krönung - ein Rechtsanwalt und Notar. BLINKERT (1988) hat dabei aufgezeigt, dass sich im „Verlauf industriewirtschaftlicher Modernisierung in zunehmendem Maße ein ganz spezifischer Typ der Orientierung gegenüber sozialen Normen durchsetzt“ den er als „utilitaristisch-kalkulative Perspektive“ bezeichnet. Der mit der industriewirtschaftlichen Modernisierung verbundene Trend zur Ökonomisierung und Prozess der Rationalisierung und Individualisierung führen dazu, dass verstärkt Situationen entstehen, in denen „eine größere Zahl von Normadressaten die Kosten für illegitimes Verhalten als niedrig und den Nutzen von abweichendem Verhalten als relativ hoch einschätzen“. Illegitimes Verhalten wird entsprechend nicht als pathologisch angesehen, sondern als durchaus rationale Form der Konfliktlösung. Aufgrund dieser hedonistischen, kosten-nutzen-kalkulierenden Haltung, die sich zunehmend in modernen Industriegesellschaften ausbreitet, können wir anlehnend an BLINKERT Hooligans als die Avantgarde eines neuen Identitätstyps bezeichnen, die sich – was den Zeitgeist anbelangt - nicht abweichend verhalten, sondern - um es mit den Worten BLINKERT´s (1988) zu sagen - in einer „fatalen Weise überangepasst sind an die Mobilitäts- und Flexibilitätserfordernisse unserer Gesellschaft“ und des Erfolgssports. Soziale Normen haben eben in wachstums- und erfolgsorientierten Handlungsfeldern - wie BLINKERT zu Recht konstatiert - „die Bedeutung von Alternativen. Man kann sich für aber auch gegen sie entscheiden - und zu welcher Entscheidung man kommt hängt von Opportunitätserwägungen ab.“
Den Hooliganismus im Fußballsport können wir auch als eine Folge der Modernisierungsprozesse unserer Gesellschaft begreifen. Hooligans verkörpern in exakter Spiegelung die einseitigen Werte und Verhaltensmodelle des verbreiteten Zeitgeistes: Elitäre Abgrenzung, Wettbewerbs-, Risiko- und Statusorientierung, Kampfdisziplin, Coolness, Flexibilitäts- und Mobilitätsbereitschaft, Aktionismus, Aggressionslust, Aufputschung und atmosphärischer Rausch. Das Persönlichkeitsprofil eines gewaltbereiten, gewaltfaszinierten Hooligans unterscheidet sich denn auch in der Selbstbeschreibung nicht von dem eines mittleren deutschen Managers: Freundlich-locker; cool-knallhart; durchsetzungsstark; respektiert; überlegen; selbstbewusst; Menschenkenner. Eine weitere Dimension kommt hinzu, die der „authentischen Erfahrung“; die ihre Ursache u.a. in der Verengung, Verregelung, dem Verschwinden von Bewegungsräu-men, Räumen zum Spielen, zum Ausleben der Bewegungs-, Spannungs- und Abenteuerbedürfnisse hat. Ein paar Aussagen von Hooligans mögen dies verdeutlichen:
„Wenn man im Dunkeln durch den Wald rennt, über Zäune und durch Gärten, und die anderen jagt, und die Polizei ist hinter einem her - das ist fantastisch da vergisst man sich.“
„Es ist ein unheimlich spannendes Gefühl, wenn man in so einer riesigen Gruppe von 100 bis 120 Leuten mitläuft und man muss wirklich aufpassen, ob jetzt links oder rechts aber irgend welcherlei - jetzt wirklich in Anführungszeichen - feindliche Hooligans kommen. Das erinnert mich irgendwie immer so an diese Geländespiele, die man früher immer gemacht hat mit Jugendgruppen. Das ist wirklich so wie wenn man Räuber und Gendarm spielt. Und was das ganze manchmal noch spannender macht, ist dass höchst überflüssiger Weise die Polizei dann auch noch mitmischt, weil das macht die Sache dann interessanter, weil es schwieriger ist, weil man dann auf zwei Gegner achten muss und nicht nur auf einen.“
„Wenn du natürlich jetzt mit so´nem Übermob antobst und dann eben alles niedermachst, also das schönste Gefühl ist das eigentlich. Dann fliegen vielleicht ´n paar Flaschen oder Steine. Und dann rennt der andere Mob und dann jagst du die anderen durch die Gegend. Also siebenter Himmel. Das würdest du mit keiner Frau schaffen oder mit keiner Droge. Dieses Gefühl, das ist schön." Gewalt, dies machen diese Aussagen deutlich, wird zu einem Selbstzweck, zum Event, übt eine hohe Faszination aus. Diese Faszination von selbst brutalster Gewalt hat BUFORD (1992) in ebenso eindrucksvoller wie bedrückender Weise beschrieben, wenn er über die Gewaltexzesse der Hooligans schreibt: „Was mich anzieht, sind die Momente, wo das Bewusstsein aufhört: Momente, in denen es ums Überleben geht, Momente von animalischer Intensität, der Gewalttätigkeit, Momente, wenn keine Vielzahl, keine Möglichkeit verschiedener Denkebenen besteht, sondern nur eine einzige - die Gegenwart in ihrer absoluten Form. Die Gewalt ist eines der stärksten Erlebnisse und bereitet denen, die fähig sind, sich ihr hinzugeben, eine der stärksten Lustempfindungen... Und zum ersten Mal kann ich die Worte verstehen, mit denen sie diesen Zustand beschrieben. Dass die Gewalttätigkeit in der Masse eine Droge für sie sei. Und was war sie für mich? Die Erfahrung absoluten Erfülltseins“ (BUFORD 1992,234)
Der englische Kultursoziologe CRITCHER (o. J.) hat auf Grund der hier beschriebenen Entwicklung des Fußballsports dem Fußball eine schlechte Zukunft prophezeit: „Er wird tot sein, nicht weil er nicht länger als ein schnelles und hartes Spiel von den unterdrückten Massen in den Blechbuden-Stadien verfolgt wird, sondern weil er nicht mehr länger kulturell verwurzelt ist. Er wird dann nicht mehr aus einer lebendigen Volkskultur heraus geprägt, sondern von außen, von den Ideen des Massenkultur-Spektakels, die unter den Kontrolleuren der Kultur des ausgehenden 20. Jahrhunderts vorherrschen. Strukturierter ausgedrückt: der Fußballsport wird seine Teilautonomie von den herrschenden ökonomischen und kulturellen Kräften, seine Teilautonomie als Bestandteil der Volkskultur verlieren“. Und vor allem: „der Fußballsport wird geschichtslos und historisch folgendlos werden; er wird so wenig und so viel Geschichte haben wie das Flipperspiel, das Bowling-Treffen und der Abend in der Diskothek. Gereinigt von lebensgeschichtlichen Erinnerungen, in die zugleich ein Stück historischer Erfahrung eingegangen ist“, wie LINDNER und BREUER (1979, S. 170) ergänzend hinzufügen.
Nicht zuletzt auf Grund dieser Entwicklung hat eine neue Fangruppierung im und um die Stadien „die Macht ergriffen“, die „Ultras“, die sich verstärkt der (Wieder-) Herstellung der traditionellen Stimmung und Atmosphäre im Stadion durch Inszenierungen, Choreografien, „Schlacht“- und Stimmungsgesänge verschrieben hat.